virtual life..
Je mehr ich mich im Netz der Netze "bewege", je mehr ich Texte drüber lese und mich mit den Mechanismen des Webs beschäftige, desto mehr fällt mir auf, dass das Internet ein virtueller Spiegel von uns allen ist und immer mehr dazu wird. Ein virtueller Spiegel? Eigentlich ist das ja schon wieder doppelt gemoppelt. Alles was man in einem Spiegel sieht, ist schließlich schon virtuell, künstlich, zwar visuell wahrnehmbar, aber nicht berührbar (von der reflektierenden Oberfläche einmal abgesehen..). Eigentlich gibt es fast keinen "real life"-Aspekt mehr, den man nicht, oft in stark verzerrter Form, auch im Web finden kann. Sicher: Alle reden von e-commerce, e-business und dem neuen Markt. Aber auch alle anderen Bereiche sind anzutreffen.
e-sex
Ich weiss ja nicht, ob es der Realität entspricht, dass sich 70% aller Websites um das Thema Sex drehen, aber wundern würde es mich eigentlich nicht. Faszinierend (oder eher erschreckend?) ist, dass das menschliche Hirn auf diesem Gebiet wahre Meisterleistungen vollbringt, wenn es darum geht, den biologischen Akt der Fortpflanzung auf alle nur erdenkliche Weisen zu pervertieren. Kleine Hunde penetrieren frühreife Asiatinnen. Eine ältere Frau leckt an drei Pimmeln gleichzeitig (und hat ca. 20 Hektoliter Sperma im Gesicht). Auch wenn es klar ist, dass mindestens die Hälfte der "Fotos" gefaked sind, bleibt ein mehr als übler Nachgeschmack. Mit Sex im eigentlichen Sinne haben die Myriaden an Porno-Sites eh nichts zu tun. Wem es nun zu billig ist, Fotos, die selbst auf einem Gynäkologen-Kongress für Aufsehen sorgen würden, an seinem heimischen 15-Zoll-Monitor anzusabbern, der kann sich ja mal an die zweite Stufe heranwagen. CyberSex. Einfach ein paar überdimensionale, mit integrierten Sensoren und Vibratoren ausgestattete Daten-Wear an den erogenen Zonen befestigen, und los geht's. Das Stimulanz-Gestöhne kann ja über ein integriertes Head-Set ans andere Ende mit der "Hot-Line" gebeamt werden. Hat auch nichts mit Sex zu tun, aber egal..
e-crime
Ich werde euch hier, jetzt und heute nicht damit quälen, über die bösen, bösen Häcker (ohhh, sind die BÖSE!!!) zu referieren. Aber Fakt ist (angloamerikanische Menschen gucken bei dem dt. Wort "Fakt" immer etwas irritiert ;)), dass es schon so etwas wie virtuelle Kriminalität gibt. Nennt es Cybercrime oder anders. Müssen "traditionsbewusste" Old-school-Einbrecher noch mit einem Nylon-Strumpf über dem Kopf sich des Nachts leise in das Haus des anvisierten Opfers schleichen und dort analoge und mechanische Sicherheitsmechanismen aushebeln, so hat es der virtuelle Zeitgenosse da viel leichter. Im Netz ist es immer stockdunkel. Soll heißen: Die Anonymität ist (noch) gesichert, so dass auch Leute, die sonst nicht oft auf üble Gedanken kommen, ad hoc zu "Man kann ja mal probieren, ob's klappt"-Gaunern werden. Passwörter oder Zugangscodes "sniffen", mit BO oder SubSeven den Rechner des Kollegen "fernsteuern" etc..
Auch die Unmengen von unseriösen virtuellen Briefkastenfirmen, die mit üblen Geschäftspraktiken versuchen, den unbedarften Anwender die (gar nicht virtuelle) Kohle abzujagen, kann man getrost in die Kategorie "e-crime" packen..
Aber manchmal muss man das Feuer mit dem Feuer bekämpfen. "Hack-on-demand" wäre hier zu nennen. Kleine Hacker-Butzen, die gegen Bezahlung die Firmen-Netze der Clienten angreifen, um Sicherheitslücken ausfindig zu machen.
e-music
E-Music?!? Fragt man einen klassischen Musiker, fallen ihm klassische Komponisten der vergangenen Jahrhunderte ein, weil die "Klassiker" alles in "e" (wie "ernst") und "u" (wie "Unterhaltungs"-Musik) unterteilen. Aber auch wenn man das "e" mit "elektronisch" übersetzt, ergeben sich keine neueren Horizonte. Seit den 70er Jahren des vergangenden(?) Jahrhunderts kennen wir das. Vom Synthesizer zum Drum-Loop. Breakbeat und 250bpm Gabba sollten folgen.
Vielleicht wäre "e-music.business" passender. Und das ist eigentlich nicht viel anders als noch vor 5 oder 10 Jahren. Man verscherbelt die Compact Disks halt nicht mehr an der Ladentheke, sondern über den virtuellen Warenkorb. Was neu ist und der Industrie (nach eigenen Bekunden) Kopfzerbrechen bereitet, lässt sich mit zwei Kürzeln beschreiben. "MP3" ist das eine, und "CD-R" ist das andere. Mir ist zwar nicht ganz klar, warum sich die Kiddies das Chart-Gedudel als MP3 saugen (wo sie's doch schon hundertfach auf allen Radio/TV-Kanälen vorgesetzt bekommen), aber egal. Außerdem geht's ums Prinzip: CD-Rohlinge werden teurer (wegen einer indirekten "RK-Steuer"), und MP3 soll durch ein wasserdichtes Format und music-on-demand ersetzt werden. Und einen seltsamen "Kopierschutz" baut man auch ein, so dass man (wenn man Pech hat) die CD nicht mehr am Rechner hören kann, sondern nur noch auf einem "richtigen" CD-Player. Mahlzeit.
Aber eigentlich wollte ich noch auf die "echte" e-music kommen. Die Tracker dieser Welt produzieren sie, die Analog-Synthi-Experimentierer auch, und auch die Semi-Profis von der "Midi, Cubase und 4000-Mark-Keyboard"-Front. Ihre Werke sind kostenlos downloadbar, frei von Copyrights (wenn nur die gerippten Samples nicht wären..) und qualitativ oft ebenbürtig, wenn auch die Soundqualität noch etwas von "low-fi" hat. Plattformen wie MP3.com oder TraxinSpace bieten dem Nachwuchs ein Podium, auch wenn schnell klar wird, dass die heimlichen Wünsche nach Plattenverträgen, Ruhm und Geld schnell im digitalen Nirvana versumpfen.
e-business
Muss ich noch viele Worte über e-commerce verlieren?! Eigentlich nicht. Für viele die Offenbarung im Netz und die vage Hoffnung auf schnellen Reichtum. Kürzlich las ich von einer Firma, dessen Gründer zugab, nichts zu tun. Ein Start-up, das nichts tut, aber trotzdem Millionen wert ist, wenn man die Kursentwicklung verfolgt. Toll! Aber wer glaubt, dass das ewig so geht, wird schnell eines Besseren belehrt. Der Absturz folgt auf dem Fuße. Um die 70% der hastig aufgemachten e-Shops haben auf lange Sicht nicht genug Puste, um mit den gut gepolsterten Traditions-Companies mithalten zu können. Wer gestern noch laut rumkrakelte, dass die "new economy" den Kapitalismus neu erfindet, sitzt vielleicht heute schon in der Nervenheilanstalt und trinkt aus der Schnabeltasse.
e-werbung
Werbung ist toll. Nein, der Satz müsste anders lauten: "Es ist toll, was man alles mit Werbung machen kann". Jaaa, DAS trifft's schon eher. Mit Werbung ist alles finanzierbar: Domains, Webspace, e-mail-Accounts, um nur die wichtigsten Gebiete zu nennen. Die Formel lautet immer: Persönliche Daten (Name, Adresse, Alter, Wohnort etc.) plus Consumer-Profil ("Was essen Sie zum Frühstück?") gegen eine Leistung, auf die man selbstverständlich keinen Anspruch hat. Ist ja KOSTENLOS (man erinnere sich an den Unterschied zwischen kostenlos und gratis ;)). Das System "Werbung" bzw. Sponsoring kann sich im Web geliebig austoben. Statt TV-Werbeinseln, die man ja wegzappen kann, gibt es den Dauerbeschuss mit blinkenden, animierten Bannern. Permanent und überall. Die einen sehen darin die ultimative Gehirnwäsche, während die anderen froh sind, dass sie nichts bezahlen müssen. Die Ersteren können sich immerhin mittels spezieller Tools (Webwasher und Konsorten..) Erleichterung verschaffen. Den Rest scheint's nicht zu stören. Fakt ist: Werbung im Netz ist wesentlich subtiler. Manche Banner sehen aus wie klassische Windows-Eingabemasken, andere versuchen den Surfer zu einem Klick zu bewegen, indem sie kleine Spielchen simulieren ("Klicken Sie auf das richtige Tor, und sie bekommen $$$"). Und dann noch Spam und Angebote wie: "Kostenlos surfen", "beim Surfen Geld verdienen", "mit Werbe-Mails Geld verdienen" etc. Dass diejenigen, die diese Angebote wahrnehmen, mehr preisgeben, als sie je bekommen werden, scheint leider nicht allen klar zu sein.
e-stars
Wenn man mal von der Titten-Tante "Lara Croft" und den unsäglichen Moorhühnern (die hätten eigentlich auch eine Erwähnung im obigen Abschnitt verdient) absieht, gibt es kaum virtuelle Stars. Aber sicher ist, dass dieses Modell Zukunft hat. Sie zicken nicht rum, man muss ihnen keinen Pfennig Sold bezahlen, und Geld verdienen kann man (fast) genauso gut wie mit Sternchen aus Fleisch und Blut. Man muss sie nicht casten und "trainieren", alles Bits, Bytes und Polygone, die man in beliebigen Varianten wieder neu zusammenpuzzeln kann. Wenn man erstmal einen Fuß in der Tür der Zielgruppe hat, geht alles. Dann kann man sich dumm und dämlich an allerlei nutzlosen Merchandising-Devotionalien verdienen.
Dann gibt es noch die andere Sorte Internet-Stars. Der Typ von yahoo, der auf dem Titelblatt jeder zweiten "Tomorrow" ist, der Mensch von Nullsoft (winamp), die eBay-Gründer oder auch Leute wie Stefan Münz (self-html). Die werden in Interviews schon mal gefragt, ob sie unbehelligt übers CEBiT-Gelände hoppeln können, ohne von Autogrammjägern "abgeschossen" zu werden.
e-demonstration
Man kann jetzt auch auf elekronischem Wege demonstrieren! Verwundert reibt sich der Leser die Augen. Hä?! Wie soll den DAS denn gehen. Ganz einfach. Jemand kam auf die Idee, gezielte (und vorher angekündigte) "Denial of Service"-Attacken durchzuführen. Je mehr "Demonstranten" sich beteiligen, desto größer wird die Attacke und somit die "Aufmerksamkeit", die man beim Angegriffenen erzeugt. Die Demonstranten müssen sich vorher registrieren, und, um Missbrauch vorzubeugen, hat die DoS-Software nur einen entsprechenden Gültigkeitszeitraum.
Nun entbrannte (z.B. bei Heise, die diese Meldung brachten) eine muntere Disskursion. Ist das nun verwegener Nonsens oder ein unterstützenswerter Ansatz? Auf jedem Fall ein weiterer RL-Aspekt, der zu seinem virtuellen Spiegelbild gekommen ist.
Da fällt mir ein: Gibt es eigentlich schon das e-Begräbnis? Das e-Schuppenflechte-Beratungszentrum? Den ersten e-Shop, der einen parikularen 4D-Phasenbeschleuniger im Angebot hat?! Was? Noch nicht?! Dann wird's aber höchste Zeit!
Tomaes / TAP & WildMag Crew
http://www.tap-home.de
"Nachts läßt das Unterbewusstsein so richtig die Hosen runter, zerrt uns
durch bizarre Bilderstürme oder führt uns in den schmutzigsten Keller
unserer Seele.."
"no bird soars too high, if he soars with his own wings.."
http://artists.traxinspace.com/Tomaes/
"music is what we livin' for.."